Montag, 29. August 2016

Tag 0a - Der Abschied

Nur weil man weiß, was einen erwartet, macht es gewisse Situationen nicht einfacher. Gleichzeitig herbeigesehnt und gefürchtet, mein letzter Arbeitstag.

Vorher keine schlaflosen Nächte, aber leider auch keinen Kopf für den Alltag. Lediglich der Kopfkreisel - Wie werde ich das Ganze überstehen?
Der Abschied wird mir schwer fallen, gut ein Viertel meines Lebens habe ich hier gearbeitet, geweint, gelacht, gegripst. Zehn Jahre, die man nicht einfach so ad acta legt, als wäre nichts gewesen.
So soll es sein, der Abschied soll auch schmerzen, es festigt die guten Erinnerungen und die Tränen spülen den Rest fort, das schwarze Säckchen wird ausgeleert, das rosa Säckchen kommt mit nach Hause.

Habe ich Zweifel? Kaum. Der Alltag bestätigt die Entscheidung. Im großen und ganzen begegne ich Verständnis. Die Lebensmodelle sind heutzutage wesentlich variantenreicher als noch vor fünfzig Jahren, doch unterm Strich muss man sich für die konservative Lösung nicht rechtfertigen. Zumindest noch nicht.
Dass wir als moderne Familie ins klassische Rollenmodell wechseln, befremdet uns nicht. Alles hat seine Zeit, jetzt ist eben die Zeit des geldverdienenden Vaters und der haushaltenden Mutter.

Doch bevor es soweit ist - der Abschied. Erstaunlich gefasst kann ich mir die offiziellen Abschiedsworte anhören und selbst ein paar Worte sagen, ohne dass mir Tränen die Kehle zuschnüren.
Ferienzeit, schade dass nur so wenige Leute da sind.
Small Talk, Bedauern auf beiden Seiten, aber auch Gönnen können und Mitfreude.

Dann ein innerliches Aha. Heute ist zwar der Abschied, aber nicht mein letzter Tag, der ist erst morgen. Und der hat es in sich.
Bereits am Vorabend, als ich für meine Kollegen die persönlichen Worte zurechtlege, fließen dann doch die Tränen.
Am Morgen, völlig unfähig, auf die Planungswut meines Mannes einzugehen, tröpfelt es wieder.
Auf der Autofahrt in dem Bewusstsein, dass ich diese Strecke beruflich das letzte Mal fahren werde, verschwimmt die Straße vor meinen Augen.
Wie soll ich diesen Tag überstehen?

Irgendwie geht er dann doch vorbei. Gewählte Worte an selektierte Verteiler, Abschied mal sachlich, mal persönlich.
Die Einzelabschiede sind wesentlich tränenreicher als die Gesamtveranstaltung vom Vortag.
Ferienzeit, gut dass nur so wenige Leute da sind.

Letzter Akt, Badge abgeben an der Porte. Nun ist es endgültig. Das Lächeln festgefroren schiebe ich den Mitarbeiterausweis in die Schublade.
"Eine Frage, warum freuen sich denn alle so, wenn sie den Badge abgeben dürfen?"
Irritiert schaue ich den Fragesteller an.
"Ich freue mich nicht, ich lache nur, damit ich nicht ..." Der Rest des Satzes geht in Schluchzen über. Das war's. Ich grabsche die Quittung und pfeffere sie in meine Tasche. Nur am Rande nehme ich das schockierte Gesicht des Sicherheitsmannes hinter der Scheibe wahr.
"Nicht weinen, das ist es nicht wert", höre ich ihn noch sagen. Und "Alles Gute".
Mein verkiekstes Danke hört er vermutlich nicht mehr, ich ergreife die Flucht.

Auf der Autofahrt beruhige ich mich wieder. Blick nach vorne. Gut überlegte Entscheidung, lang überlegte Entscheidung, valide begründete Entscheidung.
Ja, ich freue mich. Demnächst.
Erst einmal ist Wochenende, das wird sich nicht groß unterscheiden von den Wochenenden der letzten Jahre. Und dann mal schauen.

Im Kindergarten werde ich von den Zwillingen erwartet.
"Und, wie war's" fragt Zwilling A. Ich bin überrascht, dass er meine Abschiedsveranstaltungsphobie so mitbekommen hat.
"Na, ein bisschen traurig war's."
"Warum?"
"Ich habe zehn Jahre dort gearbeitet, das ist länger als ihr alt seid. Da ist man schon traurig, man verlässt ja auch Kollegen, die man gern hat."
"Ach Mama, du musst das einfach vergessen ... schau mal, da wächst eine kleine Gurke ..."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen